BGH v. 23.3.2024 - V ZR 111/23

Umstellung von Grenzscheidungsantrag auf Grenzfeststellungsantrag ist keine Klageerweiterung

Weder Verfahrensfehler in erster Instanz noch die Wahrung von Verfahrensgrundrechten eröffnen die Möglichkeit zur Einlegung einer Anschlussberufung nach Ablauf der Anschlussberufungsfrist gem. § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO (Anschluss an BGH, Beschluss vom 25. Januar 2022 - VIII ZR 359/20, BGHZ 232, 284 Rn. 37 ff.). Die Umstellung von einem Grenzscheidungsantrag (§ 920 BGB) auf einen Grenzfeststellungsantrag stellt keine Klageerweiterung (§ 264 Nr. 2 ZPO) dar, wenn der Kläger seinen Anträgen jeweils denselben Grenzverlauf zugrunde legt. Für eine solche Änderung des Klageantrags in der Berufungsinstanz bedarf es weder der Einlegung einer Anschlussberufung nach § 524 ZPO noch der Einhaltung der Voraussetzungen des § 533 ZPO.

Der Sachverhalt:
Die Parteien sind Eigentümer mehrerer aneinandergrenzender Grundstücke, die von ihnen jeweils zur Bewirtschaftung genutzt werden. Die gemeinsamen Grundstücksgrenzen sind nicht durch verbindliche Grenzzeichen markiert. Im Jahr 2018 führte das Vermessungsamt eine Vermessung der Grenzverläufe durch. Die ermittelten Grenzpunkte werden von den Beklagten nicht anerkannt, weil sie von den Bewirtschaftungsgrenzen abweichen.

Mit der Klage beantragte der Kläger erstinstanzlich zunächst die Feststellung des Grenzverlaufs entsprechend den Ermittlungen der gerichtlichen Sachverständigen. Auf den Hinweis des LG, dass sich auf Grundlage des Sachverständigengutachtens kein exakter Grenzverlauf feststellen lasse und daher die Grenzscheidung (§ 920 BGB) beantragt werden müsse, änderte der Kläger seine Klage. Dem zuletzt gestellten Antrag auf Grenzscheidung entlang der im Sachverständigengutachten festgestellten Grenzpunkte gab das LG statt. Hiergegen legten die Beklagten Berufung ein. Der Kläger beantragte zunächst nur die Zurückweisung der Berufung.

Nach Ablauf der Berufungserwiderungsfrist wies das OLG darauf hin, dass der Hinweis des LG nicht zutreffend gewesen sei und das Klageziel nur mit einer Grenzfeststellungsklage (Feststellung des Eigentums an dem Grundstück in näher bezeichneten Grenzen) erreicht werden könne. Daraufhin stellte der Kläger erneut seinen ursprünglichen Klageantrag auf Feststellung des Grenzverlaufs entsprechend den Ermittlungen der Sachverständigen. Das OLG wies unter Änderung des Tenors des landgerichtlichen Urteils nach Maßgabe dieses Klageantrags die Berufung zurück. Mit der zugelassenen Revision wollen die Beklagten die Aufhebung und Abänderung des Berufungsurteils nach Maßgabe ihrer Berufungsanträge erreichen. Der Kläger beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Die Revision der Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Rechtsfehlerhaft sind beide Begründungen, mit denen das OLG die nach seiner Ansicht erklärte Klageänderung trotz Ablaufs der Anschlussberufungsfrist (§ 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO) als zulässig erachtet. Weder Verfahrensfehler in erster Instanz noch die Wahrung von Verfahrensgrundrechten eröffnen die Möglichkeit zur Einlegung einer Anschlussberufung nach Ablauf der Anschlussberufungsfrist gem. § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Selbst dann, wenn das LG gegen die Hinweispflicht nach § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO verstoßen hätte, was auf der insoweit maßgeblichen Grundlage seiner materiell-rechtlichen Würdigung selbst nach den Ausführungen des OLG nicht der Fall war, so ergäbe sich hieraus kein Grund, die Wahrung der Anschlussberufungsfrist als entbehrlich anzusehen. Entgegen der Ansicht des OLG ergibt sich auch nicht unmittelbar aus den Verfahrensgrundrechten (z.B. Art. 103 Abs. 1 GG) eine Grundlage dafür, nach Ablauf der hierfür vorgesehenen Frist eine Anschlussberufung einzulegen.

Die Entscheidung des OLG stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Denn das OLG hat verkannt, dass die Einlegung einer Anschlussberufung im vorliegenden Fall ohnehin nicht erforderlich ist. Der Kläger musste keine Anschlussberufung einlegen. Denn mit dem im Berufungsverfahren gestellten Grenzfeststellungsantrag wollte der Kläger nichts erreichen, was über seinen Antrag auf Zurückweisung der Berufung hinausgeht. Die Umstellung von einem Grenzscheidungsantrag (§ 920 BGB) auf einen Grenzfeststellungsantrag stellt keine Klageerweiterung (§ 264 Nr. 2 ZPO) dar, wenn der Kläger seinen Anträgen - wie hier - jeweils denselben Grenzverlauf zugrunde legt. Für eine solche Änderung des Klageantrags in der Berufungsinstanz bedarf es weder der Einlegung einer Anschlussberufung nach § 524 ZPO noch der Einhaltung der Voraussetzungen des § 533 ZPO.

Danach war die Berufung zurückzuweisen, weil der in der Berufungsinstanz zuletzt gestellte gem. § 256 Abs. 1 ZPO zulässige Grenzfeststellungsantrag begründet ist. Die Feststellung des OLG, dass die Grundstücksgrenzen entlang den von der Sachverständigen festgestellten Grenzpunkten verlaufen, lässt Rechtsfehler nicht erkennen und wird von der Revision nicht angegriffen.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 25.04.2024 12:26
Quelle: BGH online

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